„Anstrengend und bereichernd“

10.11.2023 – Bischöfe treffen Schutzsuchende und Ehrenamtliche des NesT-Flüchtlingsprojekts in Witten

NesT – Neustart im Team. Das ist der Name eines Programms, bei dem besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vom Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) ausgewählt und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur Aufnahme in Deutschland vorgeschlagen werden. In Witten gibt es, und das ist bundesweit einzigartig, gleich drei ehrenamtliche Teams, die sich verpflichtet haben, jeweils eine der ausgewählten Familien nach ihrer Ankunft in Deutschland für mindestens ein Jahr intensiv zu begleiten.

Bischof Stäblein von der evangelischen und Erzbischof Heße von der katholischen Kirche trafen sich zum Informationsaustausch mit Teilnehmenden des NesT-Programms in Witten.

Diese Begleitung ist sehr umfangreich. So verpflichten sich die Freiwilligen unter anderem dazu, eine Wohnung zu suchen, in der die Menschen, die vorher oft über Jahre unter einfachsten Bedingungen in Flüchtlingscamps gelebt haben, ein neues Zuhause finden.

„Anstrengend, aber gleichzeitig auch sehr bereichernd“ sei diese Arbeit, sagte eine der Ehrenamtlichen jetzt bei einem ökumenischen Treffen im evangelischen Johannis-Zentrum. Sie beantwortete damit eine der vielen Fragen, die der katholische Erzbischof Stefan Heße und sein evangelisches Gegenüber Bischof Christian Stäblein an die Geflüchteten und ihre Betreuerinnen und Betreuer in Witten hatten. Beide sind in ihren Kirchen deutschlandweit für das Thema Flucht die höchsten Ansprechpartner.

„Ich bin sehr neugierig, wie die Praxis läuft“, so Bischof Stäblein. Er erfuhr bei dem Treffen, dass es neben großen Herausforderungen auch viel Unterstützung für die Familien und Teams gab, und neben viel Arbeit auch wachsendes Verständnis füreinander. Einer der Helfer erzählte, wie er zum NesT-Mentor wurde: „Ich bin selbstständig und hatte, als Corona kam, keine Aufträge mehr. Da erfuhr ich vom NesT-Programm und dachte: Du hast einen großen Freundeskreis, und du bekommst bestimmt so ein Team zusammen.“ Das bestätigte sich schnell. „Als wir nach vielen Vorbereitungen schließlich am Flughafen auf die Ankunft der Flüchtlinge warteten, hatte ich richtig Herzklopfen.“

„Die ersten Tage waren dann echt intensiv“, erzählt Silvia Wüllenweber aus derselben Gruppe weiter. „Es waren so viele Behördengänge zu erledigen!“ Dieser Teil der Aufgabe, der normalerweise von einer anderen Stelle übernommen wird, führte aber zu einer sehr positiven Erfahrung: „Die Stadt Witten hat unwahrscheinlich geholfen. Ich hab noch nie so ein Heimatgefühl gehabt“, beschreibt Axel Thiemann die Emotionen der ersten Tage. „Einfach, weil die eigene Stadtverwaltung uns so unterstützt hat.“ 

Auch bei einer Gruppe aus Unna, ebenfalls beim Treffen zu Gast, gab es viele Hindernisse, aber auch gute Lösungen. „Es war sehr schwer, auf dem privaten Wohnungsmarkt etwas zu finden. Die Tatsache, dass das Anreisedatum unserer Familie durch Corona nicht festlag, ließ den Vermieter abspringen. Erst durch eigene Kontakte und nach viel Telefoniererei konnten wir die Situation schließlich klären.“ Das NesT-Programm sieht vor, dass die Ehrenamtlichen für einen begrenzten Zeitraum gegebenenfalls mit ihrem eigenen Geld für die Mietkosten aufkommen, was die Betroffenen verständlicherweise kritisch sehen. Der Kirchenkreis Hattingen-Witten hatte sich daher bereiterklärt, die Mietkosten zu übernehmen, um den Wittener Gruppen Sicherheit in ihrem Engagement zu geben, erklärte Superintendentin Julia Holtz.

Viel Unterstützung gibt es für alle Gruppen auch von der Zivilgesellschaftlichen Kontaktstelle (ZKS), die von den NesT-Trägern Deutscher Caritasverband, dem Deutschen Roten Kreuz und der Evangelischen Kirche von Westfalen unterhalten wird. Die ZKS-Mitarbeitenden Theresa Schmidt und Axel Rolfsmeier führen mit den Teams Basis- und Aufbauschulungen sowie regelmäßige Vernetzungstreffen durch.

Doch nicht alle Schwierigkeiten sind abzufangen. So regte eines der Teams an, dass vor allem der Faktor Sprache mehr Berücksichtigung finden müsse, wenn Geflüchtete und Betreuende zusammengebracht werden. Da es vor allem anfangs keine gemeinsame Sprache gab, die beide Seiten wenigstens ein bisschen sprechen und verstehen konnten, war die Unterstützung der Familie manches Mal schwierig. Mehr Glück hatte ein anderes Team: Die drei Töchter ihrer Familie sprachen Englisch, und alle beim Treffen anwesenden konnten sich davon überzeugen, dass auch die nicht eben einfach zu erlernende deutsche Sprache in zwei Jahren recht gut in den Griff zu bekommen ist: Eine der Töchter berichtete bereits auf Deutsch von ihren guten Erfahrungen mit dem Unterstützer-Team. Nur sie selbst ist noch nicht so glücklich mit ihren Sprachkenntnissen und hat sich vorgenommen, sie weiter zu verbessern. Die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und ihrem afrikanischen Heimatland sieht sie dagegen nicht als Problem an.

Der Kirchenkreis Hattingen-Witten ist mit drei Teams in dem staatlich-zivilgesellschaftlichen Aufnahmeprogramm „Neustart im Team“ (NesT) vertreten. Deutschlandweit gibt es 35 Mentoring-Gruppen mit über 200 engagierten Ehrenamtlichen.

Bischof Stäblein fragte, ob bei allem zivilgesellschaftlichen Engagement auch Glaube oder Religion eine Rolle im Kontakt zwischen Mentoren auf der einen und Geflüchteten auf der anderen Seite spielt. Das konnte eine der Betreuerinnen nur bestätigen: „Die Familie lebt ihren muslimischen Glauben intensiv. Dadurch haben wir Einblicke in islamisches Leben bekommen, die wir sonst nicht hätten. Es ist ein sehr schönes Miteinander entstanden, trotz unterschiedlicher Religionen und völlig unterschiedlicher Herkunft.“

Erzbischof Heße würde zu einem weiteren Treffen „am liebsten Menschen mitbringen, die Angst davor haben, dass Leute zu uns kommen. Auch sie würden in der Begegnung lernen. Ich nehme jedenfalls heute viel mit von der Begeisterung und Freude, die alle im Projekt erfahren.“

Mechthild Jeannès, die davon berichtet hatte, wie sich die sprachlichen Schwierigkeiten auf die Arbeit in ihrem Team ausgewirkt hatten, berichtete, dass die Mutter ihrer Geflüchtetenfamilie trotz aller weiter bestehenden Hindernisse im Alltag einen Aspekt ihres Hierseins nie aus den Augen verliert: „Ich bin in Sicherheit.“ Das richtet noch einmal den Blick auf einen wichtigen Aspekt des NesT-Projekts: Die Unterstützung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter und die Schaffung legaler und sicherer Zugangswege ist den beiden großen Kirchen ein wichtiges Anliegen. Julia Holtz hatte zu Beginn des Treffens daran erinnert, dass die Bibel voll von Fluchtgeschichten ist.

Viele der bislang 35 Mentoring-Gruppen stammen aus dem kirchlichen Umfeld, aber auch in einem Sportverein, einer Hochschule und einem Unternehmen haben sich schon NesT-Teams zusammengefunden. Die Bischöfe wünschen sich für die Zukunft, dass trotz der veränderten Stimmung im Land alle NesT-Plätze besetzt werden können. Christian Stäblein, der am Vorabend gerade in der Talk-Runde „Hart aber fair“ im Fernsehen gesessen hatte: „Es braucht jetzt unsere Stimme. Der Fokus liegt viel zu sehr auf Negativem und auf Abschiebung. Es geht darum, Menschen in ihrer Würde und ihrer Gotteskindschaft anzunehmen.“ Erzbischof Stefan Heße war froh, „Praktikerinnen und Praktiker getroffen zu haben. Wir müssen NesT weiter bekannt machen.“

Nähere Informationen zum Projekt sind unter www.neustartimteam.de verfügbar.

(hmj)

Bildergalerie

Teilnehmende des NesT-Projekts trafen sich jetzt mit Bischof Stäblein und Erzbischof Heße zum gemeinsamen Austausch im Wittener Johannis-Zentrum

Möge die Straße Dir entgegeneilen.
Möge der Wind immer in Deinem Rücken sein.
Möge die Sonne warm auf Dein Gesicht scheinen
und der Regen sanft auf Deine Felder fallen.
Und bis wir uns wiedersehen,
halte Gott Dich im Frieden seiner Hand.
Irischer Segenswunsch

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