Eine kleine Vorort-Kirche

19.07.2023 – Ein Drama in mehreren Akten

In den 1950er Jahren gehörte ungefähr die Hälfte der Einwohner Deutschlands der evangelischen Kirche an. Wer arbeitete, trug mit einem Teil seines Gehalts dazu bei, dass landauf, landab gelebte kirchliche Zugehörigkeit zum zentralen Bestandteil des Lebens vieler Menschen gehörte. Heute sind dagegen nicht mal ein Viertel der Bundesbürger Mitglied der evangelischen Kirche, die lange versucht hat, ihre Angebote auf dem hohen Niveau der Boom-Jahre aufrecht zu erhalten. Doch die Realität des Schwunds zahlender Mitglieder hat das inzwischen unmöglich gemacht. Diese Realität hat Folgen vor Ort, zum Beispiel im Wittener Stadtteil Buchholz, der zur Kirchengemeinde Witten-Herbede gehört.

Die 1957 erbaute Kirche in Witten-Buchholz

Bereits 2015 rang sich das Presbyterium der Kirchengemeinde zu einem Schritt durch, der vielen Menschen in der Gemeindeleitung und allen kirchlich Verbundenen vor Ort weh tat: Die 1957 eröffnete evangelische Kirche im Ortsteil Buchholz wurde entwidmet. Die Anzahl der Gemeindemitglieder war über die Jahre stark gesunken, der letzte Pfarrer in Buchholz hat den Schließungs- und Trauerprozess noch seelsorgerlich begleitet, bevor er in Rente ging.

Da war es schön, dass sich vor Ort Leute fanden, die den Standort mit neuem Leben füllen wollten. Ein Bürgerbündnis plante, mit Veranstaltungen und Eigenarbeit den Standort als Treffpunkt zu erhalten. Dem wollte sich die ev. Kirchengemeinde nicht verschließen, erlaubte die Nutzung und unterstützte den Verein für fünf Jahre mit je 5.000 €. Dieser fünfjährige Vertrag wurde im Jahr 2020 noch einmal verlängert. Da sich die finanzielle Lage inzwischen weiter verschlechtert hatte, lief er allerdings nur noch für drei Jahre und ohne jährliche Unterstützungszahlung.

Auch dieses Modell muss nun vor dem Hintergrund der Austrittswelle aus der ev. Kirche beendet werden. Ende 2023 läuft der Vertrag aus, da die Kirchengemeinde unausweichlich auf Einnahmen aus der Vermarktung des Geländes angewiesen ist. Seit Bekanntgabe dieses Entschlusses ist die kleine Buchholzer Kirche noch einmal in den Blickpunkt der lokalen Presse gerückt. Die große Verbundenheit des Bürgervereins mit dem Kirchgebäude steht dabei ganz im Vordergrund. Da gerät schnell aus dem Blick, dass es nicht ohne Folgen bleibt, wenn sich Menschen in großer Zahl den „Mitgliedsbeitrag“ Kirchensteuer sparen.

Die zuständige Pfarrerin Ute Wendel hat einmal aufgeschrieben, welchen finanziellen Realitäten sich ihre Gemeinde gegenübersieht. Und sie erneuert ihre Einladung an den Bürgerverein, Veranstaltungen und Feste in Zukunft im drei Kilometer entfernten Herbeder Gemeindehaus zu begehen.

Pfarrerin Ute Wendel: Wie geht es weiter in der Kirchengemeinde Herbede?

Es ist kein Geheimnis: Wie alle Kirchengemeinden ist auch unsere Gemeinde großen Veränderungen ausgesetzt:

  • Weniger Menschen

Die Anzahl unserer Gemeindeglieder sinkt beständig, und diese Abnahme hat neben der Bevölkerungsentwicklung (sehr viel mehr Beerdigungen als Taufen) vor allem gesellschaftliche Gründe.  

Erst seit ca. 150 Jahren können Menschen frei entscheiden, ob sie aus der Kirche austreten, und weil immer weniger Menschen ihrer Kirche verbunden sind, treten sie dann auch aus. Laut einer Studie wird sich die Zahl der evangelischen Kirchenmitglieder in Deutschland bis zum Jahr 2060 in etwa halbieren.

Damit sinkt auch die Anzahl derer, die Kirchensteuer zahlen – das sind generell nur ein Drittel aller evangelischen Gemeindeglieder (alle anderen sind nicht-verdienende Ehepartner*innen, Rentner*innen, Studierende, Kinder, Menschen ohne Arbeit). Wenn jetzt die sogenannten „Babyboomer“ in Rente gehen, wird es einen weiteren großen Einbruch geben.

  • Kostspielige Aufgaben

Hinzu kommen neue Aufgaben und Herausforderungen in der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), die auf allen Ebenen viel Geld kosten:

In den Kirchenkreisen mussten Präventionsstellen eingerichtet werden, die in den Gemeinden mit der Aufklärung und dem Schutz vor sexualisierter Gewalt befasst sind. Die Westfälische Kirche bereitet ein neues IT-System vor, damit Hacker-Angriffe wie vor einigen Jahren in der Wittener Stadtverwaltung nicht vorkommen. Die Abgeordneten der Landessynode in unserer Kirche haben beschlossen, dass die EKvW bis 2040 klimaneutral sein soll und dafür müssen alle Kirchenkreise vier Prozent ihrer Gelder einbehalten, um Klimaprojekte zu fördern.

All dies ist wichtig und nachvollziehbar, aber sehr teuer, und so kommt leider immer weniger Geld in den Kirchengemeinden an.

  • Hohe Kosten

Die teuren Energiekosten und höhere Personalkosten haben die finanzielle Situation noch einmal deutlich verschärft. Die Kirchensteuer reicht längst nicht mehr aus, um unsere Gemeindearbeit mit ihren Mitarbeitenden, Häusern sowie vor allem mit einem lebendigen Gemeindeleben vor Ort zu finanzieren. Die Finanzplanung hat für 2023 ein Minus von über 44.000 € errechnet, obwohl wir nur die nötigsten Reparaturen erledigt haben. Dieses Minus wird sich in den Folgejahren auf etwa 67.000 € im kommenden Jahr und 92.000 € in 2025 steigern. Dass es nahezu allen Kirchengemeinden in unserem Kirchenkreis so geht, ist kein Trost.

  • Viele Gebäude

In den „fetten“ Jahren haben wir viel Geld für Gebäude ausgegeben, so dass es lange Zeit selbstverständlich war, dass jeder Gemeindebezirk eine eigene Predigtstätte oder ein Gebäude hat.

Zwischen 1950 und 1980 wurde alle 1,9 Tage (!) in Deutschland ein neues Gemeindehaus eröffnet. Viele dieser Gebäude sind nicht renoviert und energetisch problematisch. Mit diesem Erbe müssen wir uns nun befassen. Wir können uns diese Zahl an Gebäuden nicht mehr leisten, so schön dies auch war.

Dabei sind es nicht nur die hohen Kosten, sondern auch das Ziel der Klimaneutralität, die uns zu Einsparungen bei den Gebäuden nötigen.

Dazu sagt die Ev. Kirche von Westfalen:

Die Klimaschutzstrategie erfordert „auf allen Ebenen unserer Kirche Eingriffe zur Reduzierung und nachhaltigen Sanierung kirchlicher Gebäude. Zur Erreichung des Ziels der Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 werden voraussichtlich 40 Prozent der kirchlichen Gebäude reduziert werden müssen.“

  • Was tun wir?

Ende des vergangenen Jahres wurde die Stelle in der Kinder- und Jugendarbeit auf 50 Prozent (Jugendarbeit) reduziert. Wir sparen somit rund 35.000 €, die wir bisher für die anderen 50 Prozent (Arbeit mit Kindern) aus eigenen Erbpachteinnahmen finanziert haben. Die inhaltliche Arbeit ist dadurch nicht betroffen, da die Arbeit mit Kindern nun über die neue Stelle von Diakon Schröder finanziert wird und nicht aus gemeindeeigenen Erträgen.

Auf dem Kirchengelände hinter der Schöpfungskirche am ehemaligen Schulhof ist ein städtischer Kindergarten geplant, der uns, wenn alles klappt, Erbpachteinnahmen einbringen wird. Doch all dies reicht nicht aus, wir müssen weitere Erträge aus der Vermarktung von Gebäuden erzielen.

  • Neue Wege gehen

Wie bereits bei der Gemeindeversammlung im März angekündigt wurde, müssen wir Buchholz und Durchholz als (kirchliche) Standorte aufgeben und uns um eine „sinnvolle“ Vermarktung in Erbpacht kümmern. Sonst sind wir als Gemeinde pleite.

Bei Gesprächen wurde deutlich, dass sich weder Buchholz noch Durchholz für eine klassische Quartiersentwicklung eignen. Quartiersentwicklung bedeutet, dass sich in kleinen strukturschwachen Orten unterschiedliche Partner (z.B. Kirche, Diakonie, AWO, Parteien, Stadt) zusammentun und z.B. ein gemeinsames Bürgerhaus für alle einrichten. Durchholz und Buchholz sind jedoch keine Dörfer in extrem abgelegenen Gegenden. Jegliche Infrastruktur ist in wenigen Kilometern erreichbar.

Doch wir sind in Gesprächen und auf der Suche nach guten, zukunftsweisenden Ideen für beide Standorte. Eventuell können die Gebäude für eine anderweitige Nutzung stehen bleiben und wir hoffen, dass wir dann dort weiterhin einen Raum für Veranstaltungen mieten können.

Wenn das nicht möglich ist, soll keine Gruppe aufgelöst werden!

Das Bündnis für Buchholz hat eine hervorragende Arbeit in der Buchholzer Kirche geleistet! Wir sind froh, dass wir dem Bündnis die Kirche bislang für sieben Jahre zur Verfügung stellen konnten und dass wir die Arbeit in den ersten fünf Jahren mit jährlich 5.000 € unterstützen konnten. Die sehr angespannte Finanzlage auf allen kirchlichen Ebenen (Landeskirche, Kirchenkreis, Kirchengemeinde) und die hohen Kostenentwicklungen lassen dies nicht mehr zu. Im Gegenteil: wir müssen nun Gewinne erwirtschaften.

Alle Gruppen und Chöre sind herzlich ins Markus-Zentrum eingeladen! In der Zeit der Winter-Kirche haben wir das erprobt. Wir sind zusammengerückt und es hat funktioniert.

  • Auf Gottes Geist vertrauen

Diese Entwicklung ist zweifellos sehr bedauerlich. Doch ich bin sicher, dass Gott seine Kirche nicht im Stich lässt und dass wir als Gemeinde eine aussichtsreiche Zukunft haben. Jesus ist umhergezogen, er hatte keine Kirche und kein Gemeindehaus, und doch hat sich seine frohe Botschaft ausgebreitet.

In anderen Ländern, die viel weniger finanzielle Mittel haben als wir, gibt es lebendige Gemeinden, die beständig wachsen. Das Geheimnis des Lebens im Sinne Jesu besteht paradoxerweise im Loslassen: „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ (Lk 9 ,62)

Lasst uns im Vertrauen auf Gottes Geist loslassen!
Lasst uns gemeinsam – auch mit unseren Nachbargemeinden Bommern und Wengern – den Blick getrost nach vorne wenden und Gott um Kraft und Weisheit bitten für unseren Weg.

Ute Wendel
im Namen des Presbyteriums

Möge die Straße Dir entgegeneilen.
Möge der Wind immer in Deinem Rücken sein.
Möge die Sonne warm auf Dein Gesicht scheinen
und der Regen sanft auf Deine Felder fallen.
Und bis wir uns wiedersehen,
halte Gott Dich im Frieden seiner Hand.
Irischer Segenswunsch

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